Winterwandern in der Uckermark
Es ist voll geworden in der Uckermark. An Sommertagen dröhnen mehr SUV-Boliden mit Berliner Kennzeichen über uckermärkische Alleen als über die Stadtautobahn. Auch auf den Wanderwegen herrscht Hochbetrieb – mit allen negativen Folgen: kreisch laute Badestellen, vermüllte Picknickplätze, benutzte Taschentücher im Gebüsch. Wer es lieber abgeschieden mag, wandert besser im Winter. Ja, das Wetter neigt in dieser Zeit zu Kapriolen und die Natur trägt meist gedeckte Farben. Dafür wird man belohnt mit Stille. Zum Beispiel auf dieser Winterwanderung von Fürstenberg über Lychen nach Templin.
Etappe 1: Fürstenberg-Lychen
Als uns die RE 8 in Fürstenberg auf den Bahnsteig spuckt, zieht sich der Himmel gerade eine Wolkendecke vors Gesicht, es nieselt kalt auf unsere Kapuzen. Wo im Sommer ein Klavierspieler Ausflüglern die Wartezeit bis zum nächsten rappelvollen Ostsee-Express versüßt, fegt heute der Wind über den verwaisten Bahnsteig. Missmutig stapfen wir auf der menschenleeren Luisenstraße nach Norden, wo wir die B96 kreuzen. Wir könnten jetzt auf direktem Weg zu unserem Etappenziel nach Lychen wandern. Oder gleich den Bus nehmen. Aber das wäre Kapitulation.
Wo die Hölle an Himmelpfort grenzt
Also biegen wir in die Himmelpforter Landstraße ein, die mehr ein Radweg ist und uns an der Gedenkstätte des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück entlangführt, dem größten seiner Art im Deutschen Reich. Zwischen 1939 und 1945 wurden in diesem Lager mehr als 120.000 Frauen und Kinder, 20.000 Männer und 1.200 Jugendliche als Häftlinge registriert. Sie mussten schneidern, weben, flechten, später auch Zwangsarbeit für die Berliner Siemens leisten. Tausende wurden hingerichtet, erschossen, vergast, starben an Hunger, Misshandlung oder Krankheiten.
Rund um die Gedenkstätte, die das ganze Jahr geöffnet ist, gibt es noch viele Spuren des ehemaligen Lagerkomplexes zu entdecken: verfallene Häuser, rostige Tore, Rampen und Bahngleise, von Bäumen überwuchert. Als wir das Lagergelände hinter uns gelassen haben, zeigt sich hinter den Hügeln der Stolpsee, Sonnenstrahlen schimmern durch die Kiefern. Als wir das Ufer des nördlich gelegenen Sidowsees erreichen, hat es aufgehört zu regnen.
Reichlich Kohlenhydrate für kalte Tage
Wir kommen von Norden nach Himmelpfort. Der staatlich anerkannte Erholungsort ist wegen seines Weihnachtspostamts bekannt, Kulturbeflissene denken eher an die Überreste eines mittelalterlichen Zisterzienserklosters. Wir haben Glück, das rote Café Hasenheide in der Himmelpforter Chocolaterie ist zwar offiziell noch geschlossen, doch die Besitzerin öffnet für uns den Gastraum und serviert uns frisch gebackenen Käsekuchen mit heißer Schokolade.
Gestärkt durch reichlich Kohlenhydrate wandern wir an den dick bewachsenen Backsteinruinen des Klosters vorbei über einen schilfgesäumten Pfad an der Nordseite des Haussees bis zur Woblitzbrücke. Der Schlenker lohnt sich, denn die tiefstehende Wintersonne, die jetzt immer wieder durch die Wolken bricht, taucht den See in quecksilbernes Licht. Durch den Wald geht es weiter zum Großen Lychensee, wo uns der Wind wieder brachial um die Nasen weht, sodass wir froh sind, uns am späten Nachmittag neben dem warmen Bullerjan in der Mühlenwirtschaft in Lychen zu einem vorgezogenen Abendessen niederlassen zu können.
Ort der Erholung und des Schmerzes
Noch ein kurzer Gang über die Landstraße, dann erreichen wir unsere Ferienwohnung in der Parkresidenz Lychen, die in einer der zwei sanierten Gründerzeitvillen auf dem Gelände der ehemaligen Heilanstalten Lychen liegt. Zu Hochzeiten zählte die Anstalt mehr als 500 Betten, die jedoch nicht nur der Heilbehandlung dienten. In der NS-Zeit erholten sich hier Nazigrößen wie Rudolf Heß und Heinrich Himmler, sogar Hitler soll seinen Urlaub am Zenssee verbracht haben, bevor die Anstalt nach Kriegsbeginn zum Lazarett umfunktioniert wurde. Später führten skrupellose Nazi-Ärzte hier Menschenversuche mit Wundinfektionen und Knochentransplantationen durch.
Bis heute hat die parkähnliche Anlage den melancholischen Charme eines Lost Place, denn der größere Teil der Gebäude ist nach wie vor baufällig. Nachdem die sowjetischen Streitkräfte, die die Heilanstalt als Stützpunkt und Geburtsstation genutzt hatten, 1993 abgezogen waren, stand die Anlage leer, bis ein Freiberger Bauingenieur im Jahr 2009 dem Land Brandenburg ein Teilstück abkaufte, um in den Gebäuden Miet- und Ferienwohnungen aufzubauen.
Etappe 2: Lychen-Templin
Am Morgenbedeckt weißer Puderschnee die Hügel der Parkanlage, unten am See schnattern die Gänse. Hinter der Helenenkapelle steigen wir durch den Wald hinunter zum Ufer und folgen dem Pfad durch raschelndes Laub. Ab hier laufen wir für die nächsten Kilometer parallel zum Wasser. Am südlichen Zipfel des Zenssees wechseln wir die Seiten. Ab jetzt wandern wir am wilden nördlichen Ufer des Platkowsees, vorbei an mächtigen, umgestürzten Bäumen, die wie Angelrouten von Riesen ins Wasser ragen. An der Schutzhütte lohnt sich ein Zwischenstopp, denn hier ist unverkennbareine Bibelfamilie zuhause.
Über den Wanderweg Richtung Alt Placht erreichen wir schließlich das „Kirchlein im Grünen“, eine denkmalgeschützte und liebevoll sanierte Kapelle im Fachwerkstil, die vermutlich um 1700 von den Hugenotten erbaut wurde. Leider ist die Kirche geschlossen und die Picknickbänke im Garten laden bei dieser Kälte nicht zum Bleiben ein. Also weiter durch den Wald zur überdachten Rastbank „An der Lindenallee“, die etwas mehr Schutz bietet.
Auf gepflasterten Alleen zur „Perle der Uckermark“
Die letzten vier, fünf Kilometer nach Templin heißt es Pflastertreten auf einem geteerten Wirtschaftsweg durch karges Ackerland – im Sommer mag die Kirschallee ihre Reize haben, um diese Jahreszeit wird das Wandern hier ein bisschen zäh. Kein Wunder, dass unser Tempo automatisch anzieht, bis wir die schützende Altstadt von Templin erreichen. Nach den einsamen Tagen in der uckermärkischen Seenlandschaft kommen uns die wenigen Spaziergänger in der Stadt beinahe wie Massentourismus vor.
Aber nach einem Cappuccino im Marktcafé und Nudeln beim Italiener haben wir uns akklimatisiert und drehen eine letzte Runde an der historischen Stadtmauer mit ihren fünf markanten Türmen um die Stadt. Auf dem Weg zum Bahnhof grüßt aus der Entfernung der Templiner Stadtsee und empfiehlt sich für die nächste Winterwanderung.
Hin und weg: Mit der RE5 ab Gesundbrunnen nach Fürstenberg (ca.1 Stunde), zurück von Templin mit der RB12 (1 Stunde 35 Minuten).
Strecke: Beide Etappen, von Fürstenberg nach Lychen/Parkresidenz und von Lychen nach Templin, sind jeweils etwa 20 Kilometer lang.
Tour auf Google Maps
Bonustipp: Nach zwei langen Wandertagen im Kalten bietet sich ein Besuch in der Naturtherme Templin an. Wer Zeit hat, sollte sich dafür eine weitere Übernachtung gönnen.