Rauener Berge: Zwischen Bergbau und Boxring

Der pastellgelb getünchte historische Bahnhof in Bad Saarow liegt noch halb im Schatten, als uns die Regionalbahn in den kühlen Morgen entlässt. Jenseits der ausladenden Kolonnaden auf dem Vorplatz empfängt uns der Brunnen »Lebensfreude«, wie die in den späten 1970er-Jahren von Hans Eickworth geschaffene Plastik heißt: Vier vitale, nackte Figuren, zwei Männer und zwei Frauen, balancieren in perfekter Symmetrie eine Schale über ihren Köpfen – ganz sozialistisches Menschenbild.

Dabei wäre dieser Appell gar nicht nötig gewesen, denn schon beim ersten Blick auf den herbstlich eingerahmten Scharmützelsee geht uns das Herz auf. Von der Uferpromenade im Kurpark aus machen wir einen kurzen Abstecher auf die Seebrücke, über der sich Möwen und Krähen eine wilde Verfolgungsjagd liefern.

Mundlöcher und Geisterstollen

Hinter dem Hafen biegen wir ab in Richtung Wald. Ein Mischwald, wie man ihn aus Brandenburg kennt, wäre der Waldboden rechts und links des Wegs nicht von Kratern, Rinnen und Kuhlen zerfurcht. Die Erklärung lässt nicht lange warten, eine Infotafel erinnert an die Geschichte des Bergbaus in den Rauener Bergen, der 1842 begann. Anders als in der südlich gelegenen Lausitz, wo die begehrte Braunkohle meist im Tagebau gewonnen wurde, trieben die Bergleute ihre Stollen hier bis zu 50 Meter in die Tiefe. Der mit fast 2,5 Kilometern Längste war der 1866 eröffnete Simon-Stollen. Vom Eingang, dem Mundloch, wurde die Kohle per Pferdeeisenbahn zur Verladestelle am Scharmützelsee transportiert.

Nach rund 50 Jahren war Schluss und die Anlagen wurden sich selbst überlassen, bis die eingestürzten Schächte und Stollen zur Stolperfalle für Spaziergänger wurden. Obwohl die meisten Bodensenkungen inzwischen gesichert sind, warnen noch immer Schilder vor den Gefahren aus dem Altbergbau. Wer sich auf die Spuren der Rauener Bergleute begeben will, kann einem ausgewiesenen Wanderweg folgen.

Zur “schönen Aussicht”

Auch wenn wir bequemere Wege wählen könnten, entscheiden wir uns für die steile Route hoch zum Gipfel – wenn schon Berge, dann richtig. Wobei das moderate Auf und Ab selbst weniger fitte Menschen kaum aus der Puste bringen dürfte. Fast an der höchsten Stelle angekommen, legen wir eine Pause an den beiden Markgrafensteinen ein.

Die Markgrafensteine: Was hat die Granitschale vor dem Alten Museum in Berlin mit den Rauener Bergen zu tun? Ganz einfach: Das Material, aus dem das auf Hochglanz polierte Prunkstück gefertigt wurde, stammt aus der Hügelkette südlich von Fürstenwalde. Der an die 750 Tonnen schwere Granitklotz gelangte während einer der letzten Eiszeiten aus Südschweden in die Sandberge von Rauen. 1827 wurde er auf Geheiß des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. in drei Teile aufgespalten. Aus dem größten Stück entstand die Riesenschüssel mit einem Durchmesser von fast 7 m. Sie sollte ursprünglich in der Rotunde des Alten Museums stehen, geriet aber so groß, dass sie vor dem Museum aufgestellt werden musste. Schon der Transport der Schale nach Berlin war eine logistische Meisterleistung: Auf Holzstämmen wurde die Schale aus den Hügeln zur Spree gerollt und von dort mit dem Lastkahn nach Berlin geschippert. Ein kleineres Stück des Findlings lieferte das Material für einen Steintisch und vier Bänke, die an einem nahegelegenen Aussichtspunkt stehen. Das Reststück blieb an Ort und Stelle, woraus sich der kuriose Umstand ergibt, dass der Große Markgrafensteinheute einen deutlich geringeren Umfang hat als der Kleine Markgrafenstein, der immerhin noch als größter landliegender Findling Deutschlands gilt.

Ein paar hundert Meter weiter, auf dem höchsten Punkt der Rauener Berge, liegt ein weiterer Picknickplatz. Der steinerne Tisch auf knapp 150 Metern Höhe über Normalnull hieß früher »Schöne Aussicht«, weil Besucher von hier aus einen grandiosen Rundumblick in die Landschaft bis
nach Berlin und zum Scharmützelsee hatten. Inzwischen wird der Hügel von bis zu 120 Jahre alten Bäumen überragt. Um einen ähnlichen Fernblick zu haben, muss man heute noch einmal 45 Meter höher auf den Aussichtsturm klettern. Der Aufstieg zur offenen Plattform über grobes Lochblech ist allerdings nichts für Menschen mit Höhenangst – dafür wird man mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt.

Die Rauener Schanze

Aber bevor wir uns den Turm vornehmen, steigen wir noch eine steile Treppe hinter dem Steintisch hinab, um nach den Überresten der alten Rauener Skisprungschanze Ausschau zu halten. Von 1954 bis 1988, als die Winter noch schneereich waren, sausten skisportbegeisterte Lokalmatadore über die Waldschanze ins Tal, sogar Bezirksmeisterschaften wurden in Rauen ausgetragen. Außer ein paar Treppenstufen, einer
Schneise und Betonfundamenten ist von der alten Schanze jedoch nichts mehr zu sehen.

Durch Robinienwald schlendern wir den Wanderweg bergab in Richtung Petersdorf, wo wir nach einem kurzen Kaffeestopp am See in die Alte Saarower Straße einbiegen. Die mündet bald in einen Feldweg und
verläuft am Waldrand durch moorige Feuchtwiesen. Jenseits der Landstraße zweigt der Schmeling-Rundweg von der Moorstraße ab, dem wirauf seinem sichelförmigen Verlauf um die sattgrünen Saarower Wierichwiesen folgen. In dieser romantischen Naturlandschaft wird das heilkräftige Moor für die Anwendungen in der SaarowTherme gestochen.

Wo Max Schmeling zuhause war

Wir setzen uns neben zwei ältere Damen auf eine Bank und schauen den Schwalben zu, wie sie über die weite Fläche jagen. Im Sommer, erzählen uns die Spaziergängerinnen, könne man hier auch Störche beobachten. In bester Moorblicklage, auf dem Dudel, stehen zwei reetgedeckte Sommerhäuser, die in den 1920er Jahren von dem jüdischen Architekten Harry Rosenthal entworfen wurden. Sie erinnern daran, dass Bad Saarow in den Goldenen Zwanzigern einmal ein beliebter Treffpunkt der Berliner Kultur- und Filmszene war. In einem der beiden mondänen Anwesen, im Haus Sonnenhof, lebte in den dreißiger Jahren der Boxweltmeister im Schwergewicht Max Schmeling. Schmeling hatte das Haus 1930 von dem
Berliner Maler und Grafiker Bruno Krauskopf gekauft. Nach der Hochzeit zog 1933 auch seine Frau, die Schauspielerin Anny Ondra, in Haus Sonnenhof ein.

Lange währte das Glück des Paares in Bad Saarow offenbar nicht, 1936 brannte ihr Zuhause nach einem Blitzeinschlag nieder, 1938 verkaufte Schmeling das Haus und zog mit seiner Frau nach Pommern. Wer den damaligen Bewohnern noch näherkommen möchte, kann im Krauskopf-Schmeling-Haus übernachten.

Vorbei am alten Wasserwerk Bad Saarow, in dessen Turm sich ein märchenhaftes Ferienapartment befindet, kehren wir zurück zum Bahnhof.

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