Fahrrad-Yoga: Vier Tage auf dem Radweg Berlin-Usedom (1/4)
Eintauchen: Von Bernau zum Werbellinsee (44 Kilometer)
Es beginnt ungefähr zehn Kilometer nördlich der Stadtgrenze. Mein Puls verlangsamt sich. Ich atme tiefer, sehe schärfer, höre besser. Ich kenne dieses Gefühl schon. Es überkommt mich jedes Mal, wenn ich nördlich von Berlin ins Brandenburger Umland eintauche. Und heute passiert es genau in dem Augenblick, als der Radfernweg Berlin-Usedom in Ladeburg von der Landstraße abzweigt.
Mein Brandenburg-Gefühl. Ganz ohne Yoga-Gruppe setzt bei mir schlagartig Tiefenentspannung ein. Es muss etwas mit dieser Landschaft zu tun haben, mit der gänzlich unspektakulären, aber nie langweiligen Mischung aus Wäldern, Wiesen, Sümpfen und Seen. Mit dem weiten Himmel und dem Duft nach Getreide, Kiefernholz und Brombeeren. Mit der wohltuenden Abwesenheit von zu vielen Reizen.
Ist der Radweg zudem so glatt gebügelt wie zwischen Berlin und Usedom, dann radelt es sich beschaulich durch eine Natur, die an einem vorbeizieht, ohne an jeder Biegung um Aufmerksamkeit zu heischen. Es bleibt viel Raum für Zwischentöne.
Im Lobetal klappert ein Storch über unseren Köpfen und an der Langerönner Mühle springe ich das erste Mal vom Rad. Der verlassene Bau mit der feierlichen Apsis, zu DDR-Zeiten als Erholungsheim genutzt, ist efeuüberwuchert und wird von mächtigen Bäumen beschirmt; durch die Spitzbogenfenster schimmert gemusterte Tapete, was in dieser Wildnis seltsam tapfer wirkt. Vis-à-vis am Ententeich blühen Sonnenblumen. Ein Platz, an dem man bleiben könnte.
Und so geht es weiter. Hier lohnt ein Abstecher zu einem See, dort lockt ein schön gelegenes Picknickplätzchen und ab und zu machen Biergärten einen Zwischenstopp unumgänglich. Zum Beispiel im Schleusengraf bei Grafenbrück. Das verfallene Magazin der örtlichen Wasserbaudirektion, zwischenzeitlich zum Schafstall umfunktioniert, hat sich zum gemütlichen Wirtshaus mit Hobbit-Charme gemausert.
Im Schatten der Bäume mit Blick auf den Finow-Kanal lassen wir uns das Florida-Eis auf der Zunge zergehen.
Knapp 350 Kilometer misst der Radweg Berlin-Usedom vom Schlossplatz in der Stadtmitte bis nach Peenemünde. Wer es sportlich mag, radelt ihn in 24 Stunden. Wir juckeln von Bernau nach Ueckermünde gemächlich in vier Tagen.
Unsere erste Nacht verbringen wir am Werbellinsee. Der langgestreckte See, der von der letzten Eiszeit geformt wurde, gehört für mich zu den schönsten Badegewässern der Schorfheide. Trotz reichlich Bootsverkehr ist sein Wasser glasklar und auch im Hochsommer angenehm frisch.
Eine gute Adresse ist der naturbelassene Campingplatz am Süßen Winkel, der an der ruhigeren Südseite des Sees liegt. Zwar ist der Platz fest in Dauercamperhand, dafür dürfen sich durchreisende Zeltgäste wie wir über einen Logenplatz am Ufer freuen – und über eine traumhafte Badestelle vor dem Zelteingang.
Am Morgen steigt Frühnebel auf und taucht den See in eine magische Atmosphäre. Kein Wunder, dass sich um das stille Wasser die Legende von der versunkenen Stadt Werbellow rankt, die in Bausch und Bogen unterging, weil die habgierigen Bewohner einem Bettler die Unterkunft verwehrten. Sonntagskinder sollen das Läuten der Kirchenglocken noch heute hören können.
Ich bin offenkundig keines, denn an meinem Lieblingsplatz auf dem Steg umgibt mich Stille, die allenfalls vom Gründeln der Enten unterbrochen wird – bis der erste Motorbootkapitän seinen Außenborder aufheulen lässt. Dann ist es Zeit aufzubrechen.
Dies ist der erste Teil der Artikelserie “Fahrrad-Yoga: Vier Tage auf dem Radweg Berlin-Usedom”. Hier geht es zur
Anreise: Mit der Regionalbahn oder der S2 bis Bernau. Tagesetappe von Bernau zum Werbellinsee als Route mit Wegpunkten auf Google Maps.