Berlin vom Schwan aus betrachtet
Tretbootfahren, das riecht ein bisschen nach 70er-Jahre Kindheit, nach Nivea-Sonnencreme und Dolomiti-Eis. Erinnerungen an geknechtete Kniegelenke. Keine Fahrt ohne Gezeter, weil die Schwester natürlich viel zu lasch in die Pedale trat und die Euphorie des Aufbruchs spätestens auf dem Rückweg zum Bootssteg verpuffte. Trotzdem war das Gefühl von Freiheit auf dem Wasser kaum zu überbieten.
Dieses Gefühl ist bis heute geblieben. Und weil ich mich lieber selbst bewege, als mich einem motorisierten Untersatz anzuvertrauen, übt der klobige Wasserpflug meiner Schulferien noch immer seinen Reiz aus. Als kürzlich in meiner Nachbarschaft ein Tretbootverleih eröffnete, war abzusehen, dass ich früher oder später schwach werden würde. Dem blendend weißen Schwan, der eines Morgens am Anleger schaukelte, konnte ich einfach nicht widerstehen.
Noch am selben Nachmittag pedalieren wir zu zweit durch die Rummelsburger Bucht. Aber einen Geschwindigkeitsrausch müssen wir trotz vereinter Muskelkraft nicht befürchten. Viel zu ineffektiv der Schaufelradantrieb, der das Spreewasser bei jedem Tritt mit gedämpften Plantschen im Bauch des Plastikvogels rotieren lässt. Dafür klingt das Geräusch, das dabei entsteht, wie ein Percussion-Sound.
Und noch etwas belohnt uns für die Strampelei: Wo immer Land in Sicht kommt, ist unser Plastikvogel so etwas wie ein Botschafter der guten Laune. An der Halbinsel Stralau lächeln uns die polnischen Binnenschiffer zu, eine Touristin reißt verzückt ihr iPhone aus der Tasche. Wahrscheinlich ist unser Schwan schon jetzt ein Instagram-Star.
Als wir in die Fahrrinne zur Spree einbiegen, wird uns mulmig zumute. Bevor uns ein Ausflugsdampfer vor den Bug nehmen kann, halten wir uns lieber in Ufernähe und sammeln weiter Sympathiepunkte. Denn egal auf welche Picknickdecke der Schatten des Schwanenhalses fällt – wir ernten spontanes Lächeln. Motivation pur. Obwohl die Knie ächzen und die Schalensitze, für die der passende Körper erst geboren werden muss, allmählich blaue Flecke produzieren.
Hinter der Elsenbrücke ragt der „Molecule Man“ glitzernd in den babyblauen Himmel. Der Stahlkoloss wurde wahrscheinlich schon von allen Seiten fotografiert – aber sicher noch nicht so oft aus der Schwanenperspektive. Am alten Zollsteg vor der Oberbaumbrücke wissen die Kormorane so recht, ob sie vor uns flüchten sollen.
Wir schaufeln gemächlich weiter Richtung Badeschiff. Im Schwimmbad an der Arena warten unsere größten Fans. Frenetisches Winken, ein Handykamerameer. Einer ruft: „Ihr seht toll aus!“ und reckt den Daumen in die Höhe. Promifeeling, obwohl der rote Teppich eher eine grüne Suppe ist.
Allmählich wird das Strampeln zäh. Die Spree flussabwärts ist jenseits der Oberbaumbrücke für uns zum Glück tabu. Also umkehren – gegen den Strom. An der Insel der Jugend gönnen wir uns eine Brause und unserem Schwan Gesellschaft. Der letzte Kilometer zurück zur Bucht ist kein purer Spaß. Aber das gehört eben dazu, wenn man Berlin vom Schwan aus betrachten will.
Update: Inzwischen wurde der Schwan von einem Flamingo und einer gelben Ente abgelöst – auch sehr putzig!
Stilvoll Tretbootfahren an der Rummelsburger Bucht / Treptower Park
Ahoi Ostkreuz, Paul und Paula Ufer / Zillepromenade, Flamingo und Ente, 4er Tretboot: 12 Euro pro Stunde
Kanuliebe, Insel der Jugend / Treptower Park, schöne Pedalo-Oldtimer der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, 2er Tretboot: 11 Euro pro Stunde, 4er Tretboot: 12 Euro pro Stunde