Ein Himmelbeet auf Bodenhöhe
Hinter mir brummt der Verkehr vierspurig. Aus dem Fenster eines Altbaus, der gerade saniert wird, rasselt Schutt über eine Blechrutsche in einen rostigen Container und wirbelt Staub auf. Ich stehe an einer Kreuzung mitten im Wedding, einem Bezirk, der weder für grüne Ausflugsziele noch für besondere Beschaulichkeit bekannt ist. Vor mir ein Maschendrahtzaun, an dem jemand mit Kabelbinder ein provisorisches Schild befestigt hat: „Himmelbeet“, steht in geschwungenen Buchstaben darauf.
Was auf den ersten Blick wie blanke Ironie wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Wegweiser in ein kleines Idyll. Nur wenige Schritte die Ruheplatzstraße hinunter – nomen est omen – öffnet sich das Tor zum ersten Urban-Gardening-Projekt im nordwestlichen Berlin.
Seit gut zwei Wochen hat der Problemkiez gegenüber vom Leopoldplatz seinen eigenen Schrebergarten 2.0. Eigentlich hatte der Gemeinschaftsgarten auf dem Dach eines Supermarktes in der Nähe entstehen sollen, daher der Name. Doch aus der Idee wurde nichts, weil Baurecht und Brandschutz die Investitionskosten in die Höhe trieben.
Die Brache, die der Bezirk dem Projekt als Zwischenlösung zur Verfügung stellte, ist mit 1.700 Quadratmetern zwar kleiner als das ungenutzte Parkdeck, doch das findet Meike ganz okay. „Jetzt können wir erst mal unsere Erfahrungen sammeln“, sagt die zierliche Rothaarige, die heute Dienst im Himmelbeet schiebt. Sie studiert Agrarwissenschaften und ist als Ehrenamtliche von Anfang an dabei. Der neue Standort habe seine Vorteile: „Hier sind wir in Lauflage, die Leute aus der Nachbarschaft kommen einfach zufällig vorbei.“
Ich setzte mich zu Meike auf eine Bank vor der roh gezimmerten Holzbude, in der Limonade, Kuchen und kleine Snacks mit Zutaten aus eigenem Anbau verkauft werden. Von hier aus hat man einen guten Überblick über das Labyrinth aus etwa 100 Europaletten, deren kniehohe Aufbauten mit Mutterboden gefüllt sind. Links von uns eine improvisierte Tribüne, überall verstreut in den Gängen Plastikstühle, Korbsessel, Bierbänke. Selbst Großstadthektiker kommen hier zur Ruhe.
Obwohl die mobilen Beete erst seit kurzem auf dem Eckgrundstück stehen, grünt es schon aus allen Kisten: Schnittlauch, Salbei, Dill, Salat und Mangold sprießen um die Wette. Liebevoll von Hand geschriebene Schildchen verraten, was der urbane Garten Eden noch hervorbringen wird: Bohnen, Auberginen, Tomaten, Kartoffeln, Kohlrabi, Möhren, Spinat. Vor allem einheimisches Gemüse.
Die Himmelbeetler setzen auf regionale, traditionelle Sorten und ökologischen Landbau. „Unser Saatgut stammt von befreundeten Initiativen aus dem Umland, die sich für die Rekultivierung alter Nutzpflanzen einsetzen“, sagt Jonas. Der schlaksige Philosophiestudent ist einer von drei Gesellschaftern der gemeinnützigen GmbH und hat das Projekt mit aus der Taufe gehoben.
Dogmatisch will er das nicht sehen: „Wer ein eigenes Beet pflegt, darf natürlich selbst bestimmen, was in die Erde kommt.“ Ein paar Regeln müssen die Hobbygärtner allerdings einhalten: „Wir machen zwar keine Beetkontrolle, aber in unseren Pachtverträgen steht zum Beispiel, dass die Leute keine Pestizide verwenden dürfen.“
Viel wichtiger ist Jonas aber der soziale Gedanke. Durch das gemeinsame Werkeln sollen die Nachbarn zusammenrücken. Nicht nur Akademiker mit Landsehnsucht, sondern Menschen unterschiedlicher Generationen, Erfahrungen und kultureller Prägung.
Auch Kiezfremde dürfen gießen und säen, im Gemeinschaftsgarten oder auf dem Pachtbeet, das für 50 Euro pro Saison zu haben ist. Gegen eine Spende kann man außerdem frische Kräuter und Gemüse, Seedballs oder Jungpflanzen erstehen.
Wie es aussieht, scheint das Konzept aufzugehen. Ein Rentnerpaar spaziert gemächlich durch den Garten und erkundigt sich, wie Erdbeerspinat schmeckt, eine junge Frau erntet stolz ihre ersten Radieschen und eine Gruppe Rollifahrer döst zufrieden unter einem Sonnenschirm. Die Stimmung ist ungewohnt freundlich und entspannt.
Als ich nach drei Stunden durch das Tor wieder auf die Straße trete, fühle ich mich tatsächlich ein bisschen so, als würde ich von einer Wolke absteigen. Dabei ist das Himmelbeet eigentlich ganz bodennah.
Von Juni bis Oktober ist das Himmelbeet täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr geöffnet, an Wochenenden auch länger. Gartenarbeitstage sind donnerstags von 14 – 18 Uhr und samstags von 11 bis 15 Uhr. Wer das Projekt unterstützen möchte, hier geht’s zum Blog.
Himmelbeet, Adresse: Ruheplatzstraße 12 , 13347 Berlin-Wedding (auf Google-Maps)
Hin und weg: Mit der U6 oder der U9 bis Leopoldstraße, ca. 5 Minuten Fußweg